Eine sehnsüchtige Begegnung mit feministischem Raum | Teil 1: EVBG & CRYBABY
Die Genderthematik in der Kunst beginnt nicht ausschließlich bei der Art und Weise, wie weibliche Körper dargestellt werden und endet nicht bei der Anzahl der Künstler*innen, die in Museen, Galerien und Kunstfestivals vertreten sind. Es geht viel tiefer, es ist institutionell. Der Grund dafür, dass mehr Künstler*innen an diesen Orten gezeigt werden, ist darauf zurückzuführen, dass die Bedingungen meist von Männern geschaffen werden. Und weil ihre Arbeiten nicht gezeigt werden, begegnen wir Frauen* im Museum oftmals nur in den Werken männlicher Künstler. Die Rolle, die sie diesen Darstellungen einnehmen, ist üblicherweise die der Schönheit und nicht des Genies.
Es handelt sich um ein weit verbreitetes Missverständnis, wenn wir die Rolle von Frauen* als „dennoch“ mächtig beschreiben, selbst wenn sie bloß im Hintergrund agieren. Es gibt nicht die Rolle der Frau* (oder die Rolle des Mannes*). Wenn ich von Macht spreche, meine ich die Macht Dinge zu ändern, die Macht es anders zu machen, die Macht unsere Rollenbilder, Stereotypen und Kategorien zu dekonstruieren, die Menschen einordnen, ganz gleich welchen Geschlechts sie sind oder welchen Hintergrund sie mitbringen. Künstler*innen können diese Macht haben. Sie können uns überallhin mitnehmen, uns alles fühlen lassen. Wieso erwarten wir dann also nicht von der Kunst, dass sie uns helfen kann Orte zu schaffen, die frei von Diskriminierung sind? Hier kommen Projekträume ins Spiel. Diese unabhängigen Räume lassen sich eher als frei von vorgefertigten Konzepten denken. Da sie Orte der Kollaboration sind, bilden sie Freiräume für die Kunst, ohne Abhängigkeiten und ohne Kompromisse aufgrund von Geld oder Wirtschaftlichkeit eingehen zu müssen.
Der Berliner Kunstmarkt ist hier keine Ausnahme. Vor einem Monat schaffte es das Berlin Gallery Weekend tatsächlich sowohl „weiß als auch männlich“ zu bleiben und altbackene Normen der Marginalisierung aufrecht zu erhalten [1]. Jüngste Ereignisse zeigen die Wichtigkeit von Projekträumen, die Varietät zulassen. Es sind Räume, denen es immer noch gelingt sich selbst herauszufordern, Widerstand zu leisten und uns einen neuen, frischen Ansatz zu liefern, indem sie Verbindungen zu anderen Projekten suchen und dadurch ein Netzwerk der gegenseitigen Unterstützung und Gemeinschaft aufbauen.
Um besser zu verstehen, wie Projekträume dieses institutionalisierte Problem beeinflussen können, habe ich mich dazu entschieden fünf Projekträume, die am diesjährigen Project Space Festival teilnehmen, genauer unter die Lupe zu nehmen – in der Hoffnung, dass diese Einblicke uns helfen voranzugehen:
EVBG
Wenn Ihr eure Arbeit beschreibt, sprecht ihr von Untersuchungen des gegenwärtigen Lebens. In welcher Art und Weise adressiert ihr gegenwärtige Themen, besonders Feminismus?
Marie Sophie Beckmann und Julie Gaspard: Untersuchungen des gegenwärtigen Lebens können die Erforschung von Meme-Culture meinen, eine Auseinandersetzung mit Körperdarstellungen oder auch, dass man Hashtags zu ernst nimmt. Intersektionaler Feminismus ist ein Konzept, mit dem wir uns beide identifizieren, aber gleichzeitig müssen wir auch darüber nachdenken, was das heutzutage bedeutet, wo Feminismus zu solch einem Trend und Stichwort geworden ist. Wir wurden nach unserer zweiten Ausstellung sofort als feministische Kuratorinnen gebrandmarkt. Wenn es jedoch genügt hauptsächlich Künstlerinnen zu zeigen, oder solche die sich als weiblich identifizieren, um „feministische Kuratorin“ genannt zu werden, muss die Messlatte schon sehr, sehr niedrig liegen. Wir freuen uns, wenn Leute sich mit der feministischen Haltung unserer Veranstaltungen identifizieren, da unser Verständnis dieses Konzepts natürlich beeinflusst wie und mit wem wir arbeiten und welche Themen uns interessieren.
Man kommt nicht um den ironischen und freudvollen Ton von EVBG herum. Denkt Ihr, dass Humor und Ironie wichtige Werkzeuge sind, um die Öffentlichkeit zu erreichen?
Wir würden unsere Arbeit nicht als ironisch bezeichnen. Wir sind immer begeistert von dem, was wir tun und von den Leuten, mit denen wir arbeiten. Humorvoll zu sein und Spaß an einem Thema oder an einer Installation zu haben, spielt mit Sicherheit eine Rolle; vor allem in der Art und Weise, wie wir unsere Ausstellungen und Veranstaltungen rahmen. Wenn wir beispielsweise Texte schreiben, versuchen wir nicht dem weitverbreiteten und meist ausgehöhlten „Kunstsprech“ zu folgen, sondern eine eher assoziative, zugängliche Sprache zu verwenden. Auch arbeiten wir häufig mit Künstler*innen, die Humor als eine Strategie in ihrer Arbeit benutzen, um schwierige Themen, wie Gender und Sexualität, herauszufordern.
Diskriminierung geht uns alle etwas an. Vor allem, wenn es darum geht ihr entgegenzuwirken. Wo denkt Ihr, können wir noch mehr tun, um das gegenwärtige Panorama zu verändern, insbesondere in der Kultur- und Kunstwelt?
Als weiße Kulturschaffende sollten wir uns unseres weißen Privilegs und unserer eingeschränkten Weltsicht bewusst sein. Dabei ist es wichtig sich gegenseitig in der Verantwortung zu sehen, unsere Lesarten und Weisen, wie wir über Konzepte und Künstler*innen sprechen, zu überprüfen und anzupassen – das ist ein kontinuierlicher Prozess für uns.
Was erwartet uns bei EVBG im diesjährigen Project Space Festival?
Wir freuen uns auf eine Zusammenarbeit mit der sehr coolen und großartigen finnischen Künstlerin Anni Puolakka. Am 12. Juni werden wir drei ihrer neuen Videoarbeiten präsentieren, die um die Themenfelder Care (dt. Fürsorge, Pflege, sich um etwas/jemanden kümmern, Sorge tragen) und Nourishment (dt. Nahrung, Ernährung, sich von etwas nähren) kreisen. Anni wird außerdem ihre Performance Suckling Animal Sibling zeigen und literweise Hafermilch verschütten. Nicht verpassen!
CRYBABY
CRYBABY wird von zwei Künstlerinnen geleitet. Verfolgt Ihr feministische Herangehensweisen in eurem Projekt?
Annelies Kamen: *Nur um eine Sache klarzustellen: Crybaby wurde von Samantha Bohatsch und mir gegründet. Wir sind jedoch kein statisches Leitungsteam – es verändert sich und kann sich mit jeder Ausstellung / Veranstaltung / etc. ändern.
Feministin zu sein ist definitiv ein integraler Bestandteil meiner Identität und künstlerischen Praxis – es beeinflusst alles, was ich „Best Practices“ (dt. vorbildliche Verfahren) nenne; nicht nur in der Art und Weise, wie ich mich bei Crybaby einbringe, sondern auch in Bezug auf meine eigene Recherche und die Kontextualisierung meiner eigenen Arbeit. Da Crybaby so ein brandneues Unterfangen ist, hat für mich Priorität, dass es mit einer praktischen/pragmatischen feministischen Philosophie einhergeht. Damit meine ich, dass Crybaby zuallererst einen greifbaren Nutzen für die Künstler*innen haben sollte, mit denen wir arbeiten – wir bezahlen unsere Künstler*innen, wir arbeiten daran Ihnen längerfristig weitere Ausstellungsmöglichkeiten innerhalb unserer Netzwerke zu verschaffen, wir beuten Künstler*innen nicht auf Kosten eines kuratorischen Projekts aus.
Ihr arbeitet im Berliner Kunstkontext – Bedarf es hier noch viel Veränderung? Wo könnte man ansetzen?
Es gibt noch eine Menge zu verändern und einen Haufen Arbeit zu tun, denn viele Strukturen, die Einfluss auf die Berliner Kunstszene haben, verändern sich zum Schlechten – und zwar genauso schnell, wie wir dafür kämpfen können diese zu korrigieren. Das drängende Problem steigender Mieten und der Mangel an bezahlbaren Atelierräumen bedroht die zukünftige Existenz von unabhängigen Kunsträumen in Berlin. Dies ist ein intersektional feministisches Problem, das unverhältnismäßig negative Effekte auf Künstlerinnen haben wird, die bereits jetzt stärker damit zu kämpfen haben ihren Lebensunterhalt mit ihrer Arbeit zu verdienen (siehe die IFSE Studio Berlin II Studie von 2018). Wir müssen weiterhin Fürsprecher*innen sein, Marschieren, Lobbyarbeit leisten, Wählen gehen und uns entziehen, um die Berliner Landespolitik dahingehend zu verändern, dass sie die kulturelle Produktion, die die städtische Regierung behauptet wertzuschätzen, tatsächlich unterstützt. Gleichzeitig müssen wir unsere Werte innerhalb der Kunstszene und in den Organisationen, die wir gründen, leiten und unterstützen, stark machen, indem wir ausstellen, einstellen und fair bezahlen.
Ihr kollaboriert mit ganz unterschiedlichen Leuten, habt unterschiedliche Hintergründe und arbeitet an unterschiedlichen Orten. Denkst Du, dass Feminismus überall mit den gleichen Problemen konfrontiert ist?
Naja, es ist ja nicht so, als ob ich eine unglaublich breit gefächerte, globale Perspektive hätte. Crybaby ist, genauso wie meine eigene Praxis, hauptsächlich in Europa und Nordamerika aktiv. Nichtsdestotrotz ist das Einschreiten und Handeln an der Schnittstelle von Feminismus und Arbeitsrecht in vielen Kunstkontexten dringend erforderlich. Das gilt für die Ausbeutung der außerordentlichen Fakultäten an Kunsthochschulen in den Vereinigten Staaten und die weitverbreitete sexuelle Belästigung innerhalb der Berliner Kunstszene genauso, wie für das abgründige geschlechterspezifische Lohngefälle in der Kunstwelt allgemein.
Was erwartet uns bei CRYBABY im diesjährigen Project Space Festival Berlin?
Crybaby wird eine neue Performance von Kelly Lloyd präsentieren. Kelly, die derzeit in London lebt, wird mit den zwei Berliner Künstlerinnen Elizabeth Ravn und Annelie Andre zusammenarbeiten, um eine mobile Performance zu entwickeln, welche die Positionierung der Kunst im Hinblick auf eine Hierarchie der Bedürfnisse (engl. hierarchy of needs) von einer abseitigen Perspektive betrachtet.
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[1] Dorian Batycka (2019, April 26). “An Anonymous Campaign Calls Out Berlin Gallery Weekend for Being Overwhelming White and Male”. Hyperallergic. Abgerufen auf: https://hyperallergic.com/497349/an-anonymous-campaign-calls-out-berlin-gallery-weekend-for-being-overwhelming-white-and-male/
photo credits:
Shooting of CRUSTACEAN TEMPTATION by Rebecca Goyette, 2017. Courtesy of EVBG.
EVBG flüstert. Courtesy of EVBG.
H.A Halpert, Homo Bulla (Or Dirty Dishes), 2019, performance with soap and breath – performed at Crybaby’s most recent exhibition Fridge Show at Vermont Studio Center. photo credit: Annelies Kamen, image courtesy: Crybaby.
Annelies Kamen, Self Portrait as a Joke, 2017, archival inkjet print photo credit: George Dimitrov, image courtesy: Annelies Kamen.
Text von Gabriela Frade, 1990 geboren in Lissabon, studierte Geschichte in Lissabon und Barcelona sowie Kunstmanagement und Muesologie in Lissabon. Sie lebt mal hier und mal dort und interessiert sich für Menschen und Kultur, in dieser Reihenfolge.