Ein paar Worte zur neuen Technologie der Kunst
Kunst wandert zunehmend ins Internet ab. Künstler*innen machen zwar noch physische Objekte und Galerist*innen eröffnen materielle Ausstellungen, schlussendlich denken jedoch immer mehr Leute in dieser Industrie nicht mehr nur an die physischen Eigenschaften ihrer Arbeiten, sondern genauso an ihre Fotodokumentation. Heutzutage kommt es tatsächlich darauf an, wie erfolgreich Bilder online verbreitet werden. Diese Herangehensweise wird häufig kritisiert: Kunst, die im Internet angeschaut wird, ähnelt blöden YouTube Videos; sie kann nicht durchdacht und tiefsinnig sein, da sie sofort gelesen werden können muss; solche Kunst ist wie ein süßer Doughnut, der die Blicke‚ williger Maschinen auf sich zieht und so weiter und so fort. Für uns, die Repräsentant*innen einer Gemeinschaft, die in die Produktion und Distribution von Kunst online involviert sind, ist es daher notwendig, eine Antwort darauf zu finden, ob diese Kritik gerechtfertigt ist.
Die Antwort mag und wird sehr wahrscheinlich lang ausfallen. Sie mag ebenso dutzende theoretische und kritische Texte einschließen, Diskussionsrunden und Interviews. Trotzdem ist es wichtig eines klarzustellen: Dieser etablierte, kritische Ansatz hört auf zu greifen, wenn sich die grundlegende Technologie von Kunst verändert hat. Und tatsächlich fällt es nicht besonders schwer, diesen radikalen Wandel in der Kunstindustrie zu erkennen.
Kunst impliziert immer die Anwesenheit von Künstler*innen und Betrachter*innen. Dieses Duo braucht jedoch auch noch einen dritten Akteur – eine*n Galerist*in oder eine*n Museumsmitarbeiter*in, die Künstler*innen verifizieren und den Betrachtenden Zugang zu Kunst gewähren. Der dritte Link in dieser Kette besitzt eine Art Wahrheit, die bestimmt, was Kunst ist und was nicht. Kunst, die von dieser Wahrheit eingefangen und als solche identifiziert wird (und dadurch überhaupt erst zur Kunst wird) stoppt und erstarrt: Erst jetzt können Betrachter*innen sie an bestimmten, institutionell definierten Orten sehen und die dazugehörigen Kommentare lesen, wie sie gesehen werden sollte und welche Bedeutungen sie vermittelt.
Im Gegensatz dazu ist Kunst, die vor allem produziert wird, um im Internet konsumiert zu werden, nicht mehr abhängig von der Verifizierung und der Aufrechterhaltung irgendeiner institutionellen Wahrheit. Jetzt kann ein Künstler oder eine Künstlerin (vielleicht Personen, die sich total willkürlich Künstler*innen nennen) ein Projekt machen und online hochladen: auf Archivierungswebeiten, auf Instagram oder Blogs. Das Internet wird hier zur verifizierenden Autorität, nur dass das Internet eine Technologie ist und als solche die zuvor beschriebene Wahrheit nicht automatisch innehat. Wenn Betrachter*innen sich einschalten, resultiert das in einer Peer-To-Peer Technologie, in der alle Beteiligten die gleiche Stellung haben: ein Blog, der Kunst zeigt und einem*r Künstler*in gehört; ein*e Künstler*in, der*die Kunst macht und einen Blog betreibt; nicht zuletzt ein*e Betrachter*in, der*die sich vielleicht morgen zum*r Künstler*in erklärt (oder einen Blog macht) und sich mit einem neuen Status in das Netzwerk einklinkt.
Das bedeutet, dass der Generalschlüssel zur Verifizierung von Kunst, der sich bisher allein in den Händen solider Institutionen befand, durch die mobile, mutierte Wahrheit von Peer-To-Peer Kommunikationstechnologie ersetzt wird. Kunst beginnt dadurch in einem neuen Modus zu funktionieren, der automatisch mit neuen Arten und Weisen einhergeht, wie wir über sie sprechen. Wir werden in Zukunft verstehen wollen, wieso sich diese brandneue Art von Kunst für die eine oder andere formale Lösung entscheidet, die eine oder andere künstlerische Sprache wählt und dies oder jenes Reflexionsfeld. Aber eine ganz simple Beobachtung geht dem voran: Dank dem Internet, ist Kunst nicht mehr das, was sie einmal war und anscheinend ist sie zu etwas geworden, das für uns alle ungewohnt ist.
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Photo Credits:
Vitaly Bezpalov, Death (not something to be worried about in real life) II, 2019. Klebeband, Coca Cola, Akrylfarbe, Lack, Schaumbrett, Band.
Vitaly Bezpalov, Or, 2019. Drucke auf Glas, Coca Cola, Akrylfarbe, Maße variieren.
Text von:
Natalya Serkova ist Philosophin und Kunsttheoretikerin, die in Moskau, Russland lebt. Sie ist Mitbegründerin von TZVETNIK, ein Projekt, das zeitgenössische Kunst aus der ganzen Welt erforscht und unterstützt. Sie schreibt u.a. für das Moscow Art Magazine, e-flux journal undRevistaArta, isthisit?.