Jenseits toxischer Autonomie

Photo: DaWoEdekaMaWa

2013, im Angesicht der zunehmenden Touristifizierung der Berliner Subkultur, der Deregulierung von Kulturförderungsstrukturen und der vermeintlich daraus resultierenden „Funktionalisierung“ der Kunst, traf sich die Koalition der Künstler*innen und Kulturschaffenden, Haben und Brauchen, zu einer Diskussion über ein gemeinschaftliches Plädoyer für die Kunst als „einen autonomen Ort, der nicht definiert ist, sondern allen gehört“ (1). In den darauffolgenden Debatten innerhalb der Kunstwelt wurde der Begriff „Projektraum“, und damit all jene künstlerischen Praktiken im Bereich der freien Szene, zu Gunsten eines idealisierten „dritten Raums“ erweitert, welcher sich sowohl außerhalb einer institutionellen Kulturlandschaft als auch des Kunstmarkts befinden sollte (2). Um sich an den Rändern dieser Funktionsdefinitionen zu bewegen, muss man einer eigentümlichen, sehnsüchtigen Logik folgen: Wäre dieser privilegierte „dritte Raum“ doch bloß anständig abgesichert, dann wären freie Künstler*innen, Kulturschaffende und Projekträume vielleicht endlich „sicher“.

 

Dieser „dritte Raum“ taumelt jedoch tatsächlich zwischen Kleinstbeträgen öffentlicher und privater Gelder auf der einen, und einem Höchstmaß an unbezahlter Arbeit auf der anderen Seite. Zusätzlich, ist es ein Ort, der besonders auf mietfreien oder günstigen Raum angewiesen ist. In einer Stadt, in der Immobilienpreise in die Höhe schießen, ist es schwer diesen Räumen bedingungslos beizukommen: Makler haben längst erkannt, dass sich Kunst instrumentalisieren lässt, um auf ein neues Projekt aufmerksam zu machen, ein Viertel attraktiver für Besserverdiener*innen zu gestalten und von Verdrängung und Zwangsräumungen abzulenken (3).

 

Während das Beharren auf der Kunst, als einer undefinierten, autonomen Entität, (berechtigterweise) vermochte auf kulturpolitischer Ebene Grund zu sichern, scheint es zwischenzeitlich so, als rufe diese Definition im Inneren zunehmend eine künstliche Trennung zwischen Kunstfeld und dem Stadtgefüge hervor (4).

Andere Städte, die sich in fortgeschrittenen Stadien der Gentrifizierung (5) befinden, liefern ausreichend Beweise für die aktive Rolle der Kunst bei der Wertsteigerung von urbanem Raum. In Berlin jedoch scheint der blinde Fleck, was die Instrumentalisierung der Kunst als „Pionier“ urbaner Entwicklung (6) anbelangt – genau jener neoliberale Imperativ, den man andernorts auch Gentrifizierung nennt – besonders hartnäckig zu sein. Die Zusammenhänge zwischen Kunst und Gentrifizierung – damit einhergehende Prozesse verschärfter Rassifizierung und die Spaltung unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen werden im öffentlichen Sektor kaum diskutiert (7) und oft erst nach den Räumungen und Mietkündigungen benannt. Hier ist die Kunst dann auf einmal eines der lautesten und sichtbarsten Opfer.

Kunst ist Teil eines Stadtgefüges, doch es liegt an den Künstler*innen und Kulturschaffenden ihre Rolle präzise zu bestimmen. Was passiert, wenn sie realisieren, dass die weißen Wände, die sie sich gebaut haben zum Parkplatzsystemen der Inverstor*innen werden, die sich die Krise zu Nutzen machen? Was passiert, wenn diese Wände in sich zusammenfallen oder abgerissen werden? Plötzlich bloßgestellt, stutzend und ängstlich auf das erweiterte Sichtfeld blickend, werden Künstler*innen und Kulturschaffende dazu gedrängt sich aktiv in andere Abhängigkeiten zu begeben. Das bedeutet untereinander in Kontakt zu treten (im Glücksfall stoßen sie dort auf das leise Flüstern von Vertrauen) und Bündnisse mit stadtaktivistischen Netzwerken zu schließen, die längst hart daran arbeiten den immer steigenden Mieten etwas entgegenzusetzen. Es mag sein, dass diese vorsichtig ausgewählten, sorgfältig bestimmten Abhängigkeiten (8) in Zukunft die Grundlage für eine Autonomie bilden, die von anderer, bescheidenerer Art ist.

___________

1 Haben und Brauchen, On Art Terms between Autonomy and Functionalisation, 2014, S. 12.
2 Siehe zum Beispiel Neue Berliner Räume, On the End of the Project Space, 2015.
3 Siehe zum Beispiel Julia Lorenz, 'Wenn sich Investoren anrobben', taz, 09.09.2018; Heiko Pfreundt, 'Nach uns die Verdrängung', Arts of the Working Class Magazine, Issue #3.
4 In 'Infrastructures of Autonomy on the Professional Frontier: Art and the Boycott as/of Art', beziehen sich Rachel O'Reilly und Danny Butt auf Marina Vishmidt, um die Instrumentalität der augenscheinlichen Autonomie der Kunst herauszuarbeiten und verorten sie in einem universalisierten Modell von bürgerlicher Subjektivität, die als „instrumentalisiert in ihrer Nicht-Instrumentalisierung, zweckorientiert in ihrer Zwecklosigkeit“ definiert wird – im Journal of Aesthetics and Protest, Issue 10, 2017.
(5) Siehe zum Beispiel Rosalind Deutsche, 1996; Neil Smith, 1996; Zanny Begg & Keg de Souza, 2009; Stephen Pritchard, 2016; oder die Website Bhaaad: http://alianzacontraartwashing.org/en/bhaaad/
(6) Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Urban Pioneers: Stadtentwicklung durch  Zwischennutzung, Berlin: Jovis, 2007.
(7) Jin Haritaworn, 'Über die (Un-)Möglichkeit, die Beziehung zwischen Kolonialität, Urbanität und Sexualität zu thematisieren', sub/urban. zeitschrift für kritische stadtforschung, 2015, Band 3, Heft 1, S. 111-118.
(8) Oder: Autonomie definiert als “selbst-gewählte Abhängigkeiten”, siehe Bini Adamzak, Beziehungsweise Revolution, Suhrkamp Verlag, 2017

Fotobeschreibung:

Auf einem Grundstück in der Braunschweiger Str. in Neukölln, das zu "luxuriösen Mikro-Wohnwohnungen" ausgebaut werden soll, installierten die zwei Künstler*innen Sabrina Brückner und Alison Darby eine Betonbanklandschaft und luden die Nachbarschaft ein. Fast spontan nahm ein gemeinschaftlicher Treffpunkt und Garten Gestalt an und gedieh mehrere Wochen. Am 25. Juni 2019 wurde der Garten geräumt und die Gemeinde von der Polizei zum Verlassen gezwungen - vorerst. Foto: DaWoEdekaMaWa

Text von:

Sonja Hornung ist bildende Künstlerin, die in Melbourne, Australien aufwuchs. In ihrer Praxis, die sich zwischen Installation, Performance und Zeichnung bewegt, unternimmt sie den Versuch emanzipierte Formen in existierende Ordnungsstrukturen einzuführen. Sie ist aktives Mitglied in der Künstler*innen und Aktivist*innengruppe Kunstblock and beyond und x-embassy, ein Künstler*innenkollektiv und Raum in der ehemaligen DDR-Botschaft in Pankow.

Dieser Beitrag ist zuvor in der Arts of the Working Class # 6 : Art of Darkness erschienen.